02/07/2024 0 Kommentare
Geheimtipp Tourismuspastoral
Geheimtipp Tourismuspastoral
# Tourismuspastoral

Geheimtipp Tourismuspastoral
Es regnet. Eigentlich schon den ganzen Tag. Und wenn der Regen eine Pause macht, dann weht ein kalter Wind. Selbst der Strandkorb hat sich wasserscheu in die Kirche zurückgezogen, mein Fahrrad sowieso, ich mag keinen nassen Sattel. Heute ist mein letzter Tag als Hüter der katholischen Kirche Stella Maris im Ostseebad Sellin, hoch oben über der Rügener Steilküste, ein wenig versteckt im Wald. Bevor es anfing zu regnen, hatte ich schon Bucheckern gesammelt (es ist tatsächlich ein ganz leckeres Pesto daraus entstanden). Und auch sonst roch es zwar nicht nach Schnee aber doch nach Herbst, auch wenn es in den ersten Tagen vor der Kirche noch ein wenig wärmer war als drin, vor allem wenn die Sonne es durch die dichten Laubkronen geschafft hatte. Aber wenn man sechs Stunden am Stück sitzt, ist man doch für jede Bewegung dankbar: Kerzen und Teelichte auswechseln, Musik-CD wechseln, Kaffee kochen, Tassen spülen, etc.
Die schönste Abwechslung ist aber natürlich, wenn Besuch kommt. Die meisten eher zufällig, andere ganz gezielt, um sich am letzten Urlaubstag von der Insel zu verabschieden, um eine Kerze anzuzünden oder nach einer Gottesdienstzeit zu suchen. Immer wieder steckt die freudige Überraschung an, dass hier plötzlich und unerwartet eine Kirche steht und dann auch noch offen und dazu noch katholisch. Wie kann das sein? In der tiefen Diaspora? Der ehrenamtliche Küster weiß am Samstag, 17.00 Uhr, vor der Vorabendmesse zu berichten, dass es in Sellin keine zehn aktiven Gemeindeglieder mehr gibt. Um den Blumenschmuck kümmert sich eine konfessionslose Sellinerin, sie hat es von ihrer verstorbenen Bekannten kurzerhand übernommen.
Eine Woche lang habe ich meinen Dienstsitz vom Ordinariat in Berlin an die Ostsee verlegt, dank WLAN (auch mitgebracht) ist das meiste auch von dort möglich, sogar Videokonferenz mit dem Generalvikar. Und weil ich nicht der einzige bin, ist es dank vieler Kolleginnen und Kollegen und vieler Ehrenamtlichen bereits seit Jahren möglich, im Ostseebad Sellin eine offene Kirche anzubieten. Die Öffnungszeiten orientieren sich an der touristischen Saison, die in diesem Jahr Anfang Oktober mit Bauarbeiten an der Kirche enden. Dass sich der Putz nicht mehr im besten Zustand befindet, war in der Regel die zweite Beobachtung direkt nach der Begeisterung über das kleine Schmuckstück am höchsten Punkt von Sellin.
Das Erzbistum Berlin stellt eine kleine, aber feine Ferienwohnung in der „Villa Anna“, als Gegenleistung sperrt man täglich von zwölf bis sechs den „Meeresstern“, die Kirche Stella Maris, auf. Mittlerweile interessieren sich aber auch andere Personen für diese charmante Kombination, eine Woche Tourismuspastoral ist fast schon zu einem Geheimtipp für engagierte Urlauber aus ganz Deutschland geworden.
Und dann am letzten Tag ausgerechnet Regen. Die Besucherzahl war während des Tages stark zurückgegangen, so dass ich um halb sechs schon anfing, aufzuräumen, auszupusten, auszustecken und Feierabend zu machen. Kurz vor sechs hatte ich gerade mein Fahrrad abfahrbereit in den Regen gestellt, den Schlüssel rumgedreht und war schon am Gehen, als eine Mutter mit ihren zwei Mädchen um die Ecke kam, die Kinder mutmaßlich im Kita-Alter. „Wollt Ihr die Kirche noch anschauen?“, frage ich. Noch bevor die Mutter verständnisvoll antworten kann, dass das eigentlich nicht nötig sei, antwortet die ältere der Schwestern mit einem festen Ja.
Mit diesem letzten Besuch habe ich am besten verstanden, was eine Kirche aufzuschließen mit Pastoral zu tun haben kann: die Kinder nahmen das volle Programm mit „Wollt Ihr noch eine Kerze anzünden?“ – „Ja“ – „Ich auch“. Kein Problem! Ein wenig zögerlich noch, wenn das Streichholz aufflammt, aber dann ganz entschieden, für wen sie die Kerze anzünden wollen (wird natürlich mir nicht verraten!).
„Wollt Ihr auch noch das Puzzle legen?“ – „Kinder, der Mann will bestimmt nach Hause“, wendet die Mutter ein. Ja, will er, aber noch nicht sofort. Es entspannt, den Mädchen zuzusehen und zu erleben, wie sie sich erkennbar in der Kirche wohlfühlen.
Schließlich gibt es noch für jede einen Keks oder Schokoriegel, bevor weiterziehen zu Oma und Opa. Denn sie sind bei den Großeltern zu Besuch. Mutmaßlich haben sie von denen auch den Tipp mit der Kirche bekommen, denn Oma und Opa haben sich schon jetzt in die Liste der Tourismuspastoral eingetragen und wollen nächstes Jahr auch für eine Woche Hüter der Kirche in Sellin sein.
Stefan Förner, Pressesprecher des Erzbistums Berlin
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